Stahlpreise und Stahlmarkt im Juni 2022

Weil die Stahlpreise zügig sinken, schauen Stahlhersteller in die Röhre. Warmband kostete 975 Euro je Tonne ex-works Ruhr per 1. Juni 2022. Das waren 450 Euro (-32%) weniger als vor zweieinhalb Monaten. Der Salzgitter-Konzern lamentiert.

"Zurzeit fallen die Märkte wieder", sagte Vorstandschef Gunnar Groebler bei der gestrigen Hauptversammlung. "Wir bereiten uns darauf vor, dass wir ein sehr anspruchsvolles zweites Halbjahr 2022 sehen werden."

Das Blatt hat sich komplett gewendet: Im März 2022, als der Warmbandpreis auf ein Rekordhoch bei 1.425 Euro kletterte, waren laut Klöckner-Chef Guido Kerkhoff Panikkäufe bei Stahl zu beobachten.

Seinerzeit ging es Stahlabnehmern finanziell ans Eingemachte. Wegen dem extrem teuer gewordenen Stahl flatterten ihnen hohe Rechnungen der Stahlhersteller ins Haus. Das rief die Banken auf den Plan. Plötzlich waren die Kreditlinien erschöpft.

Und so dürften nun die Kaufmännischen Geschäftsführer der Stahlabnehmer darauf dringen, zu möglichst niedrigen Stahlpreisen nachzukaufen. So kann der sehr teure Stahl, den man im März kaufen musste, etwas ausgeglichen werden. Die Einkaufskosten für das Gesamtjahr werden gedrückt.

Das dürfte auch die Hausbanken der Stahlabnehmer besänftigen. Die Geldhäuser werden aber weiterhin genau hinsehen, dass sich ihre Kreditnehmer nicht übernehmen. Die Kapitalmarktzinsen sind am steigen.

"Die Auftragsbücher der Stahlhersteller für die Juni-Produktion sind noch nicht gefüllt, also suchen sie verzweifelt nach Aufträgen", zitiert Platts einen Stahlhändler. Überdies gehe es darum Überkapazitäten bei der Stahlproduktion zu verringern, bevor die Stahlpreise noch tiefer in den Keller fallen.

Wirtschaftslage

Der konjunkturelle Ausblick für die stahlintensiven Bereiche der deutschen Wirtschaft steht auf der Kippe. Einerseits gibt es Wachstum: Der Einkaufsmanagerindex (PMI) für die Industrie lag im Mai 2022 bei 55 Punkten und damit fünf Zähler über der Wachstumsschwelle.

In den USA hat der ISM-Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe stärker zugelegt als erwartet. Metinvest-Westeuropa Chef Roberto Re, der genau damit gerechnet hatte und eine Stabilisierung der Stahlpreise erwartet, scheint also auf der richtigen Spur zu sein.

Andererseits kann man von einem steigenden Silberstreif am Konjunkturhimmel nicht sprechen. Dafür sind die Geschäftserwartungen der Industriefirmen zu eingetrübt.

Die derzeit hohe Produktion, die den PMI-Index im Wachstumsbereich hält, lässt sich zu einem Großteil auf die Abarbeitung hoher Auftragsbestände zurückführen. Laut dem ifo-Institut erreichte die deutschen Wirtschaft im Mai 2022 mit ihrem Auftragsbestand einen Rekord.

Deutsche Achillesferse

Die aus volkswirtschaftlicher Sicht furchtbar hohe Inflationsrate von 8% verunsichert. Mit Ausnahme der Schweiz, wo die Teuerung mit 3% vergleichsweise niedrig ist, haben die Europäer den großen Fehler gemacht, die Inflation laufen zu lassen. Die Deutsche Bundesbank hätte dieses Feuer sofort ausgetreten.

Der amerikanische Notenbankchef, Jerome Powell, sagte kürzlich: "Volkswirtschaften funktionieren nicht ohne Preisstabilität." Demzufolge ist die Funktionstüchtigkeit der deutschen Wirtschaft mindestens beeinträchtigt.

Der Anteil der industriellen Wertschöpfung an der gesamten Wirtschaftsleistung liegt bei etwa 18%. Damit nimmt Deutschland unter die Industrieländer einen Spitzenplatz ein. Läuft die Weltwirtschaft gut, läuft es auch für Deutschland gut.

Ob aus den europäischen Nachbarländern, den USA und China in den nächsten Monaten und Jahren genügend Wachstum kommt, so dass Deutschland gut leben kann, ist allerdings fragwürdig. Die Zeiten schuldenfinanzierter Ausgabenprogramme sind wegen der hohen Inflation erst einmal vorbei.