Deutschland in der Stahlpreis-Krise, auch 2023
Die Stahlpreise für Flacherzeugnisse spielen verrückt: Warmgewalzter Stahl aus deutschen Hochöfen ist 20 Euro je Tonne günstiger als aus italienischen. Die Stahlnachfrage werde zwar steigen, erwartet die Metallberatungsgesellschaft MEPS. Deutschland ist allerdings ein Sonderfall.
Der Spotpreis für Warmband frei Werk Ruhr war laut Recherchen von Platts 740 Euro je Tonne am 20. September 2022. Das waren 20 Euro weniger als in der Vorwoche. Auf dem italienischen Markt kam zu einem leichten Anstieg von 740 Euro auf 750 Euro.
Weil sie davon ausgingen, dass der Boden der Stahlpreise erreicht wurde, würden einige Käufer Bestellungen lancieren. Dadurch könnten sie den durchschnittlichen Bezugspreis für ihren auf Lager liegenden Stahl senken, erläutert MEPS.
Deutschen Stahlabhnehmer haben in Europa mit Abstand am meisten Bandstahl gehortet. "Die Distributoren haben Schwierigkeiten ihre Lager abzubauen", sagt ein Händler. Aufgrund der Angebotsschwemme berichten Marktteilnehmer über Ausreißer-Verkaufspreise für Warmband von 720 Euro frei Werk Ruhr.
Nach der Auflösung des Halbleitermangels haben viele auf ein Anspringen der Stahlnachfrage der Autobauer und ihrer unzähligen Zulieferer vertraut. Tatsächlich steckt die deutsche Automobilindustrie in einer tiefen Krise. Ursache sind Vorgaben aus Brüssel.
"Die deutsche Industrie ist herzkrank geworden, weil das Herz, nämlich die Automobilindustrie, durch diese CO2-Verordnung niedergemacht wird", sagt Hans-Werner Sinn.
Weil Elektroautos einfacher herzustellen sind, verliert die deutsche Automobilindustrie ihren Wettbewerbsvorteil bei Verbrennungsmotoren. Die großen Autohersteller in Italien und Frankreich können Elektroautos möglicherweise besser, auch weil ihre Fahrzeuge pfiffiger daherkommen.
Daher muss man damit rechnen, dass in den nächsten fünf Jahren ein Teil der Flachstahlproduktion aus Deutschland abwandert und sich in französischen und italienischen Hütten wiederfindet.
Ohne eine höhere Nachfrage werden die Stahlpreise nicht substanziell steigen. Aufgrund der Rezession, in die die deutschen Wirtschaft bereits eingetreten ist, wird die Stahlnachfrage voraussichtlich bis ins erste Quartal 2023 schwach bleiben.
Kommt es dann zu einer konjunkturellen Erholung, könnten bereits die ersten Effekte der oben beschriebenen Verschiebungen zum tragen kommen. Beispielsweise könnte ArcelorMittal zunächst einmal Hochöfen in Frankreich wieder in Betrieb nehmen und seine deutschen Standorte vertrösten.